Deutschland: „Feindliches Gelände“ im Gesellschaftsrecht

Einleitung
Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gesellschafterstämmen, gleich ob in einer GmbH, GmbH & Co. KG oder anderen Rechtsformen, sind ein wunderbares Spielfeld für jegliche Form menschlicher Bosheit, Niedertracht, aber auch von Erfindungsreichtum und martialischen Strategien. Für juristische Berater bergen Gesellschafterversammlungen Sprengfallen an Stellen, wo man sie schwerlich erwartet hätte. Gesellschafterversammlungen in einem solchen Stressszenario verlangen dem anwaltlichen Berater höchste Sorgfalt bei der Beachtung der gesetzlichen und gesellschaftsvertraglichen Formalitäten zur Einberufung und Durchführung der Gesellschafterversammlung ab. Jeden Fehler bestraft das Gesetz mit der Höchststrafe, nämlich der Nichtigkeit des gefassten Beschlusses und damit einhergehend häufig dem Versäumnis von materiellen Fristen. Ein geradezu kinoreifes Szenario beschreibt eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH IX ZB 35/15 vom 24.03.2016). Der Fall spielte in Ostwestfalen, also in einer Region, in der einem verbreiteten Vorurteil zufolge die Einheimischen als besonders stur gelten:

Der Fall
Das Kapital einer GmbH & Co. KG wurde von zwei Gesellschafterstämmen gehalten, die jeweils eine Geschäftsführerin stellten. Beide Stämme waren wohl heillos zerstritten. Der eine Stamm versuchte, aus welchen Gründen auch immer, einen Insolvenzantrag über das Vermögen der Gesellschaft zu stellen und der andere wollte dies mit allen Mitteln verhindern. Im Hintergrund wurden die beiden Damen wohl von ihren Ehemännern aufmunitioniert. Der Ehemann einer der Geschäftsführerinnen war Vermieter der Geschäftsräume und sprach dem verfeindeten Gesellschafterstamm Hausverbot für seine Immobilie aus.

Die Vertreterin des anderen Stammes lud daraufhin zu einer Gesellschafterversammlung in die Büroräume ein und für den Fall, dass der Zutritt wegen des Hausverbots weiter verweigert würde, in ihre privaten Wohnräume. Einziger Tagesordnungspunkt war die Abberufung der feindlichen Geschäftsführerin aus wichtigem Grund. Dieser widersprach der Einladung in die Wohnung ihrer Rivalin, weil ihr dort die Teilnahme an der Gesellschafterversammlung nicht zuzumuten sei. Trotzdem fand die Gesellschafterversammlung dort statt.

Das war riskant, am Ende aber doch kein Fehler. Der Bundesgerichtshof führt hierzu aus:

Die Einladung an einen Ort außerhalb der Geschäftsräume der Gesellschafter könne dann zur Nichtigkeit der Ladung führen, wenn die Teilnahme hierdurch in einer Weise erschwert wird, die der Verhinderung der Teilnahme gleich steht. Grundsätzlich sind also entsprechend § 121 Absatz 5 AktG Gesellschafterversammlungen am Sitz der Gesellschaft abzuhalten, wobei die Büroräume der Gesellschaft in der Regel geeignet sind. Wenn am Verwaltungssitz der Gesellschaft keine geeigneten Versammlungsräume vorhanden sind, könne auch an einen anderen Ort geladen werden, bei dem, bei überschaubarem Gesellschafterkreis, feststeht, dass er die Teilnahme nicht erschwert, weil ihn die Gesellschafter leichter als den Sitz der Gesellschaft erreichen können.

Im konkreten Fall, und so wird es spannend, sei aber eine Einladung in die Wohnung der verfeindeten Gegenseite unzumutbar und mache die Einladung fehlerhaft, denn der betroffene Gesellschafter fände sich von vornherein in einer Umgebung, in der sich der Mitgesellschafter, anders als er selbst, vertraut bewegen kann. Danach wäre hier der private Wohnort der Gegenseite von vornherein ein untauglicher Versammlungsort gewesen. Der BGH rettete die Gesellschafterversammlung aber letztlich doch mit dem Argument, dass es sich die betroffene Gesellschafter-Geschäftsführerin selbst zuzuschreiben habe, dass die Versammlung nicht in den Geschäftsräumen stattfinden konnte. Denn schließlich sei es ihr Ehemann gewesen, der als Vermieter Hausverbot erteilt habe. Unter diesem Blickwinkel sei die Veranstaltung „auf feindlichem Gebiet“ gerade noch tolerabel gewesen mit der Folge, dass die dort beschlossene Abberufung der Gesellschafter-Geschäftsführerin wirksam war.

Man sieht, auch solche Details wie der Versammlungsort wollen sorgfältig geplant und bedacht sein, will man nicht die Wirksamkeit der gefassten Beschlüsse insgesamt ins Risiko stellen.

Die Lehren
Folgende Grundregeln lassen sich aus der Entscheidung wohl ableiten:

  • Versammlungsort der ersten Wahl sind immer die Büroräume der Gesellschaft, dort wo die Geschäftsführung ihren Sitz hat. Aber auch hier ist darauf zu achten, dass, etwa durch Feindseligkeiten von Mitarbeitern oder andere Schikanen, keine Atmosphäre geschaffen wird, die der Gesellschafterminderheit die Teilnahme psychologisch erschwert. Es sollte immer darauf geachtet werden, dass für verfeindete Gesellschaftergruppen auch diskrete Rückzugsmöglichkeiten in Form gesonderter Besprechungszimmer bestehen.
  • Sind die Büroräume der Gesellschaft nicht geeignet, wäre ein neutraler Ort wie ein Tagungshotel innerhalb derselben politischen Gemeinde gewiss eine sichere Empfehlung. Bei abgelegenen Orten außerhalb der politischen Gemeinde des Unternehmens, etwa einer Almhütte, sollte Vorsicht walten.
  • Feindliches Gebiet sind auch die Räume der Anwaltskanzlei der Gegenseite, wie der BGH in einem Nebensatz ausdrücklich betont. Die Unsitte, in die Kanzleiräume der Vertreter der stärkeren Seite zu laden, kann sich rächen.
  • Keine gute Idee ist es schließlich auch, in die Konzernzentrale der wirtschaftlich stärkeren Seite zu laden, mögen die Veranstaltungsräume noch so schön und pompös sein. Die schwächere Seite könnte eine solche Verhandlungsatmosphäre, begleitet vielleicht sogar durch die fürsorgliche Aufmerksamkeit des Werkschutzes, leicht als einschüchternd proklamieren und damit versuchen, kurzfristig vor Beginn der Veranstaltung deren Erfolg zu kippen.

Autor: Heiko Hellwege