Deutschland: Zeitbombe Vorsatzanfechtung – 10 Jahre währendes Risiko

Insolvenzanfechtung – ein allgemeines Wirtschaftsrisiko
Sie kennen das: Sie ahnen eine Krise Ihres Geschäftspartners. Bevor der insolvent wird, nehmen Sie noch am Wettlauf teil und versuchen, durch mehr oder weniger sanften Druck, eindringliche Mahnungen, Drohung mit Lieferstopps oder gar Einzelzwangsvollstreckung Ihre offenen Forderungen einzutreiben. Durch einen Insolvenzantrag des Schuldners wird das Rennen abrupt beendet und es gilt die Gläubigergleichbehandlung. Nicht erfüllte Forderungen werden quotenmäßig bedient.

Zudem können bestimmte - vor dem Insolvenzantrag durch Schuldner an seine Gläubiger getätigte Zahlungen - im Wege der Insolvenzanfechtung zurückverlangt werden.

Die Insolvenzanfechtung von Zahlungen beschränkt sich dabei in der Regel auf einen überschaubaren Zeitraum von drei Monaten vor dem Insolvenzantrag. Der Gläubiger, der vorher etwas vom Schuldner erhalten hatte, konnte bislang recht sicher sein, sein Geld behalten zu dürfen.

Die Hürde für die Anfechtung ist am höchsten, wenn der Gläubiger vom Schuldner im Drei-Monats-Zeitraum genau das erhalten, was er verlangen durfte (sog. kongruente Deckung, § 130 InsO). In diesem Fall kann der Insolvenzverwalter nur anfechten, wenn der Gläubiger Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hatte. Wurden Leistung und Gegenleistung direkt und gleichwertig ausgetauscht, ist eine Anfechtung sogar ausgeschlossen (sog. Bargeschäft, § 142 InsO).[1]

Hat der Gläubiger im Drei-Monats-Zeitraum hingegen etwas anderes als das konkret Vereinbarte erhalten, hat er es z.B. vor Fälligkeit bekommen oder hat der Schuldner eine Forderung beglichen, die schon verjährt war, so ist die Hürde für eine Insolvenzanfechtung niedriger (sog. inkongruente Deckung, § 131 InsO).

Bundesgerichtshof holt die Vorsatzanfechtung aus dem Schattendasein
Zwischenzeitlich hat sich jedoch eine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) zu einer Ausnahmevorschrift gebildet, die lange ein Schattendasein führte. Nach § 133 Absatz 1 InsO, der sog. Vorsatzanfechtung, können Rechtshandlungen des Schuldners über einen Zeitraum von zehn Jahren vor dem Insolvenzantrag angefochten werden. Wörtlich heißt es:

„Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.“

Der Schuldner muss also wissen und wollen, dass er seine Gläubiger benachteiligt, wenn er einen bestimmten Geschäftspartner bezahlt. Das nimmt der BGH regelmäßig an, wenn der Schuldner weiß, dass er (drohend) zahlungsunfähig ist. Es wird mithin von Kenntnis des Schuldners von seiner (drohenden) Zahlungsunfähigkeit auf seinen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz geschlossen.

Das reicht für die Vorsatzanfechtung noch nicht aus. Der Zahlungsempfänger muss zusätzlich den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners kennen. Ihm wird nur selten Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners nachzuweisen sein.

Allerdings vermutet das Gesetz die Kenntnis, wenn der andere Teil die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kannte und wusste, dass die Handlung (Zahlung) die anderen Gläubiger benachteiligte. Hier setzt der BGH an und erlaubt in jüngeren Entscheidungen, anhand von Indizien auf die Kenntnis des „anderen“ von der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu schließen. Hierbei handelt es sich um Vorgänge, die in jeder gut aufgestellten Mahnabteilung eines Unternehmens gang und gäbe sind. Die ehemalige Ausnahmevorschrift (zehn Jahre Anfechtungsfrist!) wird hierdurch in der Praxis zum Regelfall.

Der BGH verlangt eine Gesamtschau der Umstände Indizien dafür können sein:

  • Der Schuldner leistet nicht genau so, wie vertraglich geschuldet (sog. Inkongruenz).
  • Der Schuldner schiebt hohe Verbindlichkeiten über einen langen Zeitraum vor sich her, so dass von Zahlungseinstellung auszugehen ist.
  • Der Schuldner zahlt trotz mehrerer Mahnungen erst nach Androhung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen.
  • Der Gläubiger droht die Verwertung von Sicherungsrechten an.
  • Der Gläubiger zahlt Altverbindlichkeiten erst nach Drohung mit Abbruch der Geschäftsbeziehung.

Hingegen reicht die Bitte um Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung allein noch nicht aus.

Fazit: Geschäftspartner als Insolvenzbeschleuniger?
Vor dem Hintergrund der zehnjährigen Anfechtungsfrist entsteht dadurch im Umgang mit schwächelnden Schuldnern eine hohe Unsicherheit, ob die vereinnahmten Zahlungen im Falle einer späteren Insolvenz zurückgefordert werden können. Dabei kann sich gerade das aktive Mitwirken an der (vermeintlichen) „Rettung“ der Geschäftsbeziehung als fatal erweisen. Nicht selten wird mit zunehmender Krise das Drängen auf Bezahlung lauter und ernsthafter. Problematisch wird es insbesondere, wenn in Schreiben des Schuldners die Krise, die (drohende) Zahlungsunfähigkeit oder die Insolvenzgefahr dokumentiert wird. Dann ist oftmals der Abbruch der Geschäftsbeziehung das einzig probate Mittel der Wahl.

Die (anfechtungssichere) Umstellung auf Vorkasse ist kaum möglich. Ist der Geschäftspartner zudem ein Schlüssellieferant des Schuldners, hat der Abbruch der Geschäftsbeziehung nicht selten das Aus des Schuldners zur Folge.

In der Diskussion sind Modelle, bei denen im Wege einer Abtretung von Zahlungsansprüchen gegen schwache Schuldner an konzerninterne Inkassogesellschaften Risiken minimiert werden können.

Die sanierungsfeindlichen Auswirkungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung werden in zahlreichen Stellungnahmen der Wirtschaftsverbände kritisiert. Der Gesetzgeber strebt eine Reform der Vorsatzanfechtung an. Insbesondere die Anfechtungsfrist soll von zehn auf vier Jahre verkürzt werden. Dies allein wird die hohe Verunsicherung nicht beseitigen können.

Die Versicherungsbranche hat darauf durch Anfechtungsversicherungen reagiert.

Autor: Wilken Beckering

 

[1] Ausnahme: Vorsätzliche Benachteiligung gemäß § 133 InsO.