Die aktuelle TT-GVO aus dem Jahr 2014 gilt noch bis Ende April 2026. Im September 2025 hat die Kommission deshalb Entwürfe für eine überarbeitete TT-GVO und für überarbeitete TT-Leitlinien veröffentlicht und zur öffentlichen Konsultation gestellt, um einen nahtlosen Übergang zu ermöglichen. Diese überarbeiteten Entwürfe werden im Folgenden genauer beleuchtet. Inhalt Was regelt die TT-GVO? Warum sind Änderungen der TT-GVO notwendig? Welche Änderungen ergeben sich durch die Entwürfe? Was bedeutet das für die Unternehmen? Was regelt die TT-GVO? Die Technologietransfer-Gruppenfreistellungsverordnung („TT-GVO“) der Europäischen Kommission ist ein zentrales Instrument des europäischen Kartellrechts im Bereich Lizenzverträge. Sie regelt, unter welchen Voraussetzungen „Technologietransfer-Vereinbarungen“ – also Verträge, mit denen ein Unternehmen (der Lizenzgeber) einem anderen Unternehmen (dem Lizenznehmer) die Nutzung bestimmter Technologien (wie bspw Patente, Gebrauchsmuster oder Software-Urheberrechte) erlaubt, um Produkte herzustellen – vom Kartellverbot des Art 101 Abs 1 AEUV ausgenommen sind. Ihr Zweck ist es, Innovation und Wettbewerb gleichermaßen zu fördern. Ergänzt wird die TT-GVO durch entsprechende Leitlinien (die „TT-Leitlinien“), die die Anwendung der TT-GVO erläutern. Warum sind Änderungen der TT-GVO notwendig? Seit dem Jahr 2014 hat sich das technologische und wirtschaftliche Umfeld grundlegend verändert. In der Evaluierung im letzten Jahr stellte die Kommission fest, dass die bestehenden Regeln nicht mehr alle Marktentwicklungen widerspiegeln. Besonders betroffen sind Bereiche wie die zunehmende Bildung von Lizenzverhandlungsgruppen, der Umgang mit Daten als Wirtschaftsgut und die wachsende Bedeutung von Technologiepools. Ziel der neuen Entwürfe ist es daher, Praxislücken zu schließen und Rechtssicherheit auch in diesen neuen Bereichen geben zu können. Welche Änderungen ergeben sich durch die Entwürfe? Lizenzverhandlungsgruppen (neuer Abschnitt) Erstmals enthalten die Entwürfe der TT-Leitlinien Erläuterungen zur kartellrechtlichen Beurteilung von Lizenzverhandlungsgruppen (Licensing Negotiation Groups, „LNG“). Das sind Vereinbarungen, in denen potenzielle Lizenznehmer (Technologieanwender) übereinkommen, die Bedingungen von Technologietransfer-Vereinbarungen gemeinsam auszuhandeln. Es handelt sich im Kern um eine Einkaufsgemeinschaft im Bereich Lizenzverträge. Im Juli 2025 hat die Kommission ein Beratungsschreiben zu einer LNG veröffentlicht, in dem sie Orientierungshilfen für die Beurteilung von LNGs für standardessenzielle Patente in der Automobilindustrie gibt. Die Kommission betont in den Entwürfen der TT-Leitlinien, dass „echte“ LNGs, die nicht auf Kollusion auf nachgelagerten Märkten ausgerichtet sind, in der Regel auch nicht bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen darstellen. Die Entwürfe der TT-Leitlinien sehen daher für LNG einen Soft Safe Harbour vor, nach dem „echte“ LNG typischerweise kartellrechtlich unbedenklich sind, wenn sie gewisse Voraussetzungen erfüllen: Offene Teilnahme: Die Teilnahme an der LNG steht allen Technologieanwendern offen, die objektive und diskriminierungsfreie Kriterien erfüllen. Transparenz: Die LNG legen den Technologieinhabern ihre Regeln offen und stellen klar, dass sie im Namen ihrer Mitglieder verhandeln. Begrenzter Tätigkeitsbereich: Die Tätigkeit der LNG darf sich ausschließlich auf die gemeinsame Aushandlung von Lizenzbedingungen beschränken. Begrenzter Informationsaustausch: Der Informationsaustausch innerhalb der LNG ist nur insoweit erlaubt, als er für die Verhandlung objektiv notwendig und angemessen ist. Freiwillige Teilnahme: Die Mitglieder von LNG beteiligen sich nicht an koordinierten Verhaltensweisen, einschließlich koordinierter Hold-outs, die darauf abzielen, entweder die Entscheidungsfreiheit der Technologieinhaber in Bezug auf die Aufnahme oder die Beendigung von Verhandlungen mit der Gruppe oder die Freiheit der Mitglieder, bilaterale Vereinbarungen mit Technologieinhabern auszuhandeln und zu schließen, einzuschränken. (Eine Ausnahme von bis zu sechs Monaten kann zulässig sein) Freiheit der Inhaber von Technologienrechten: Die LNG schränken weder die Möglichkeit der Technologieinhaber, mit Dritten Technologietransfervereinbarungen zu schließen, noch die Bedingungen dieser Vereinbarungen ein. Keine signifikante Kostenangleichung: Die im Rahmen der LNG vereinbarten Lizenzgebühren dürfen höchstens 10% des Verkaufspreises der Produkte, welche die lizenzierten Technologien beinhalteten, betragen. Die Kommission hat einen Soft Safe Harbour bspw auch schon mit den Horizontal-Leitlinien 2023 für die Beurteilung von Nachhaltigkeitsvereinbarungen genützt, um mehr Rechtssicherheit zu bieten. Der neue Soft Safe Harbour im Bereich der LNG könnte mitunter zur Rechtssicherheit beitragen. Datenlizenzierung (neuer Abschnitt) Die Kommission greift mit der Überarbeitung der TT-GVO erstmals ausdrücklich das Thema Datenlizenzierung auf. Dabei handelt es sich um eine Vereinbarung, die einer Partei die Erlaubnis zur Nutzung der Daten der anderen Partei einräumt. Denn Daten werden heute nicht nur als Nebenprodukt technologischer Prozesse verstanden, sondern als eigenständige Vermögenswerte, deren Nutzung und Weitergabe für Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und digitale Transformation zentral sind. Der im Zuge der Evaluierung entstandene Expertenbericht weist auf ein Spannungsfeld hin: Während die gemeinsame Nutzung von Daten wettbewerbsfördernd wirken kann (etwa durch Innovation oder Effizienzgewinne), bergen diese auch erhebliche wettbewerbliche Risiken (etwa durch exklusive Datenzugänge, Lock-in-Effekte oder den Austausch wettbewerblich sensibler Informationen). Im Zuge der Evaluierung hat sich ergeben, dass in der Praxis oft unklar war, ob und inwieweit Datenlizenzierung überhaupt von der TT-GVO erfasst sind. Die Kommission will die Rechtssicherheit in diesem Bereich stärken und hat deshalb einen neuen Unterabschnitt in den Entwürfen der TT-Leitlinien zur Datenlizenzierung aufgenommen. Es wird klargestellt, dass die TT-GVO nur für Datenlizenzierungen gilt, wenn die lizenzierten Daten als eines der in der TT-GVO definierten bestehenden Technologierechte einzustufen sind (zB. als geschütztes Know-how). Außerdem wird die Kommission die Grundsätze der TT-GVO und der TT-Leitlinien analog anwenden, wenn die Datenlizenzierungen Datenbanken betreffen, die durch Schutzrechte sui generis oder urheberrechtlich geschützt sind, sowie wenn es sich um eine bilaterale, für die Zwecke der Produktion geschlossene Vereinbarung handelt. Für alle anderen Arten von Datenlizenzierungen ist eine Einzelfallprüfung außerhalb der TT-GVO nötig. Damit erweitert die Kommission die Freistellungswirkung der TT-GVO zwar erstmals auf bestimmte Formen der Datenlizenzierung, tut dies jedoch zurückhaltend und belässt für andere Arten von Datenüberlassungen eine Rechtsunsicherheit, da für deren Beurteilung weiterhin eine Einzelfallprüfung außerhalb der TT-GVO notwendig ist. Technologiepools (überarbeiteter Abschnitt) Ein weiterer Schwerpunkt der Entwürfe der TT-Leitlinien liegt auf der Überarbeitung der Regeln für Technologiepools. Es handelt sich dabei um multilaterale Vereinbarungen, bei denen die Parteien ein Technologiepaket zusammenstellen, das an die Mitglieder des Pools und/oder an Dritte in Lizenz vergeben wird. Im Zuge der Evaluierung wurden Bedenken geäußert, dass die in den aktuellen TT-Leitlinien festgelegten Voraussetzungen für den Soft Safe Harbour möglicherweise nicht streng genug sind. Die Kommission reagiert damit auf diese Kritik und verschärft den bisherigen Soft Safe Harbour für Technologiepools. Künftig gelten neben den bestehenden Kriterien neue Anforderungen: Transparenz über die im Pool gebündelten Rechte, Offenlegung der Essenzialitätsprüfung einschließlich ihrer Methodik und Ergebnisse sowie die Vermeidung von Mehrfachvergütungen (Double Dipping). Damit soll gewährleistet werden, dass Pools fair, nachvollziehbar und nicht missbräuchlich strukturiert sind, zugleich aber ihre Effizienz und Innovationsförderung nicht beeinträchtigt werden. Was bedeutet das für die Unternehmen? Für Unternehmen bedeutet die geplante Überarbeitung anhand der vorliegenden Entwürfe vor allem mehr Orientierung und Rechtssicherheit. Die neuen Regelungen erleichtern die Beurteilung, wann Lizenzvereinbarungen unter die TT-GVO fallen (insbesondere bei neueren Formen wie Lizenzverhandlungsgruppen oder Datenlizenzierungen). Damit erhalten Unternehmen eine bessere Grundlage, um ihre Verträge frühzeitig kartellrechtskonform zu strukturieren und potenzielle Risiken zu vermeiden. Trotz erkennbarer Fortschritte ist die geplante Überarbeitung in manchen Bereichen zurückhaltend; insbesondere im Bereich Datenlizenzierung, wo für manche Arten von Datenlizenzierungen auch weiterhin eine schwierige Einzelfallprüfung außerhalb der TT-GVO notwendig sein wird. Ob die endgültigen Fassungen hier noch mehr Klarheit schaffen, ist offen. Die öffentliche Konsultation der Entwürfe läuft noch bis Ende 2025. Auf Grundlage der Rückmeldungen will die Kommission die endgültigen Fassungen der TT-GVO und der TT-Leitlinien im Frühjahr 2026 verabschieden, sodass die neue TT-GVO nahtlos an die aktuelle Regelung anschließt, die Ende April 2026 ausläuft. Es bleibt noch abzuwarten, ob sich in der finalen Fassung noch Änderungen im Vergleich zu den jetzigen Entwürfen ergeben. Die Kommission reagiert mit den geplanten Änderungen auch auf die zunehmende Verzahnung von Technologie, Daten und Kooperation im modernen Wirtschaftsleben. Vor diesem Hintergrund ist auch die am 12.09.2025 in Kraft getretene Verordnung über harmonisierte Vorschriften für einen fairen Datenzugang und eine faire Datennutzung (VO (EU) 2023/2854) („Data Act“) ergangen. Der Data Act ist ein zentraler Baustein der europäischen Datenstrategie und soll den digitalen Wandel entscheidend vorantreiben. Primäres Ziel ist es, Verbrauchern mehr Kontrolle über die von „smarten“ Geräten erzeugten Daten zu geben. Dies beinhaltet beispielsweise Daten von Autos und Smart-TVs bis hin zu Industrieanlagen. Weiters soll Unternehmen die gemeinsame Nutzung von Daten erleichtert werden. Der Data Act will damit die Grundlage für eine innovative und wettbewerbsfähige Datenwirtschaft schaffen, und sicherstellen, dass künftige EU-Rechtsakte mit deren Grundsätzen im Einklang stehen. Insbesondere Unternehmen sind betroffen, da sie ihren Kunden mitunter Daten offenlegen müssen. Aufgrund der potenziellen Auswirkungen nimmt die nächste Ausgabe unseres Newsletters den Data Act in den Fokus. Dieser Newsletter ist eine Information aus unserer Praxisgruppe IP / IT + Competition.