Pflichten zur Vertragserfüllung in Zeiten von Corona

Pflichten zur Vertragserfüllung in Zeiten von Corona – neuer Kabinettsentwurf vom 24. März 2020

Derzeit ist in allen Branchen die Frage besonders relevant, welche Vertragspartei sich gegebenenfalls von Ihren Leistungspflichten wegen Vorliegens höherer Gewalt oder einem Fall der Unmöglichkeit befreien kann und wer letztlich das Ausfallrisiko trägt. Der neue Kabinettsentwurf schafft für einige Vertragsverhältnisse Erleichterungen.

Generelle Rechtslage

Vorliegen höherer Gewalt

In diversen Verträgen finden sich Regelungen zur Leistungsbefreiung im Fall des Vorliegens „höherer Gewalt“. Das Vorliegen einer Epidemie ist von der Rechtsprechung als ein Fall höherer Gewalt angesehen worden.

Fall der Unmöglichkeit der Leistungserbringung

Nach § 275 Abs. 3 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Bei öffentlichen Anordnungen zur Schließung von Betriebsstätten liegt ein Fall der rechtlichen Unmöglichkeit vor.

Für die einzelnen Vertragsarten ist allerdings immer die Frage entscheidend, wann ein Fall der höheren Gewalt oder der Unmöglichkeit im Zusammenhang mit der Epidemie vorliegt.

Miet- und Pachtverträge und Dauerschuldverhältnisse

Die Vermieter / Verpächter sind grundsätzlich in der Lage, die Räumlichkeiten weiterhin zur Nutzung bereitzustellen. Eine mangelnde Liquidität stellt für die Mieter keinen Fall der höheren Gewalt oder der Unmöglichkeit dar, so dass die Miet- und Pachtzinsen weitergezahlt werden müssen. Gleiches gilt für Dauerschuldverhältnisse wie Stromlieferungs- oder Telekommunikationsverträge.

Lieferverträge

Da wo Betriebsstätten behördlich geschlossen worden sind, liegt eine zeitlich begrenzte Unmöglichkeit im Hinblick auf die Ansprüche der Kunden auf Auslieferung der Waren vor.

VOB/B-Verträge

Bei VOB/B-Verträgen ist derzeit die sog. Behinderungsanzeige des § 6 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe c) VOB/B besonders zu beachten. Diese Regelung bestimmt, dass die Ausführungsfristen von Bauverträgen verlängert werden, wenn höhere Gewalt oder unabwendbare Umstände Grund für die Behinderung des Auftragnehmers sind. Zwar liegt bei der Corona-Epidemie ein Fall höherer Gewalt vor. Allerdings können derzeit die Baustellen noch regulär betrieben werden, so dass in jedem Einzelfall der Ausfall an Arbeitskräften schon Ausmaße annehmen muss, die über das gewöhnliche Maß hinausgehen.

In diesen Fällen sollten daher unverzüglich schriftliche Behinderungsanzeigen an die Auftraggeber übersandt werden mit dem Hinweis, dass die Leistungserbringung aufgrund von epedemiebedingten Lieferengpässen oder durch außerplanmäßigen Ausfall von Arbeitnehmern (Krankheit/Quarantäne) tatsächlich verhindert oder erschwert wird.

 

BGB-Bauverträge und andere Verträge

Bei Werk-, Werklieferungs- und Lieferverträgen können sich je nach Fallgestaltung beide Seiten auf die Unmöglichkeit der Leistung berufen. Dies kann auf Auftraggeberseite bei einer quarantänebedingten Schießung der Baustelle der Fall sein oder auf Auftragnehmerseite bei epedemiebedingten Lieferengpässen bzw. -verzögerungen. Auch hier sollten vorsorglich Anzeigen an den Vertragspartner erfolgen!

Veranstaltungsverträge

Entscheidend ist für Veranstaltungserträge, dass die Epidemie sich konkret im Gebiet der Veranstaltung verbreitet hat oder ein Veranstaltungsverbot vorliegt. Der zweite Fall ist vorliegend flächendeckend eingetreten. Die Veranstalter können daher die Events absagen, ohne die Gagen zahlen zu müssen. Das Ausfallrisiko tragen hier die Künstler.

Reiseverträge / Reisebranche

Bei Reiseverträgen stellt sich nun die Frage, ob zu Lasten der Reiseveranstalter die Kunden von den bereits geschlossenen Verträgen zurücktreten können.

Nach § 651 BGB kann der Reiseveranstalter von dem Reisenden, der vor Antritt der Reise vom Vertrag zurücktritt, eine Entschädigung verlangen, es sei denn, am Bestimmungsort liegen „unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände vor, die die Reise erheblich beeinträchtigen“. Dies ist wohl nun in fast allen Regionen der Fall, so dass ein Entschädigungsanspruch in den betroffenen Regionen entfällt.

Auch der Reiseveranstalter kann vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktreten, wenn dieser „aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände an der Erfüllung des Vertrags gehindert ist“. In diesem Fall verliert der Reiseveranstalter allerdings den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. Im Wesentlichen trägt daher der Reiseveranstalter das Ausfallrisiko.

Neuerungen nach dem Kabinettsentwurf vom 24.03.2020

Die Bundesregierung hat nun heute die von der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegte Formulierungshilfe für einen Gesetzentwurf zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht beschlossen. Der Gesetzentwurf soll von den Koalitionsfraktionen aus der Mitte des Deutschen Bundestages einbracht werden. Insoweit gibt es folgende Neuerungen:

Dauerschuldverhältnisse – Aufschub der Zahlungspflicht

Für die Erfüllung vertraglicher Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen soll Verbraucher und Kleinstunternehmen, die wegen der COVID-19-Pandemie ihre vertraglich geschuldeten Leistungen nicht erbringen können, ein zeitlich begrenzter Aufschub gewährt werden. Dieser gilt für Geldleistungen und andere Leistungen. Umfasst sein sollen insbesondere vertragliche Zahlungspflichten aus Verträgen zur Sicherung der Grundversorgung wie Strom- und Gaslieferungsverträge aber auch Telekommunikationsverträge.

Miet- und Pachtverhältnisse – Nichtzahlung von Miete und Pacht in der Zeit von April bis Juni 2020 ist kein Kündigungsgrund

Für Miet- und Pachtverhältnisse wird der Aufschub durch die Aussetzung der Kündigungsrechte bei unterlassener Zahlung bewirkt.

Nach der derzeitigen Rechtslage können Mietverhältnisse aus wichtigem Grund dann außerordentlich fristlos gekündigt werden, wenn der Mieter sich mit zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug befindet oder in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht, § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB.

Nach der Gesetzesvorlage soll eine neue Regelung in Art. 240 EGBGB wie folgt aufgenommen werden:

§ 2

„Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen

(1) Der Vermieter kann ein Mietverhältnis über Grundstücke oder über Räume nicht allein aus dem Grund kündigen, dass der Mieter im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistet, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Der Zusammenhang zwischen COVID-19-Pandemie und Nichtleistung ist glaubhaft zu machen. Sonstige Kündigungsrechte bleiben unberührt.“

Die Glaubhaftmachung kann z.B. durch die Vorlage einer Bescheinigung des Steuerberaters erfolgen.

Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020

Des Weiteren soll die Fortführung von Unternehmen ermöglicht und erleichtert werden, die wirtschaftliche Schwierigkeiten haben oder insolvent geworden sind. In diesen Fällen wird die Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020 ausgesetzt.

Darüber hinaus sollen Anreize dafür geschaffen werden, den betroffenen Unternehmen neue Liquidität zuzuführen und die Geschäftsbeziehungen zu diesen aufrecht zu erhalten.

Für einen dreimonatigen Übergangszeitraum wird flankierend das Recht der Gläubiger, die Eröffnung von Insolvenzverfahren zu beantragen, eingeschränkt.

 

Stand 24.03.2020
Wir weisen darauf hin, dass sich aufgrund der gegenwärtigen Dynamik die Rechts- und Gesetzeslage jederzeit ändern kann. Auf Rückfrage können wir Ihnen gerne den dann aktuellen Sachstand erläutern.

Ansprechpartner
Dr. Heinrich Hahn
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